Sofie Schneider
Biografie
Sofie Schneider wurde am 7. August 1891 in Sidra, im heutigen Polen, geboren. Vermutlich lebte sie seit spätestens 1898 mit ihrer Familie in Leipzig – da ihr Vater, Hillel Schneider, in diesem Jahr eine Kantoren-Stelle in der Leipziger Body-Synagoge antrat. Bei zehn Schwestern (Zilla, Yda, Sophie, Louisa, Zipora, Berta, Ana, Rosa, Dora, Mina und einem Bruder (Leo) war sie die fünf/viertälteste der Geschwister.
Von März bis Juli 1909 studierte Sofie ein Semester an der Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig (heute Hochschule für Grafik und Buchkunst | HGB). Aufgrund von Krankheit konnte sie nicht regelmäßig an den Kursen teilnehmen, weshalb Sofie vom 01.03.1910 bis 29.02.1912 die Akademie nur als Gast besuchte.(1)
Ein Krankenschein vom 20. Mai 1909 attestiert eine Blinddarmentzündung.(2) Das ordentliche Studium nahm sie an der Kunstakademie erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erneut auf.
Am 6. November 1912 schrieb Sofie einen Brief an einen ihrer Lehrer, Professor Tiemann, mit der Bitte nach Verbesserung ihrer Zeugnisnote:
Sehr geehrter Herr Professor!
Als Ihre Schülerin habe ich ein Semester die Akademie besucht und möchte Sie jetzt um eine große Gefälligkeit bitten. Da ich eine günstige Gelegenheit habe mein Studium fortzusetzen wäre es von großem Werte wenn ich ein gutes Zeugnis vorlegen könnte. Leider konnte ich wegen Angelegenheiten in der Familie mich nicht mit solchem Fleiss dem Studium widmen um ein gutes Zeugnis zu verdienen. Ich wäre Ihnen nun sehr zum Dank verpflichtet wenn Sie mir die Note verbessern würden sodass ich in meinem Zeugniss nun die erste Note aufweisen könnte wie sie mir Herr Professor Bossert als Lehrer gegeben hat. (3)
Die Kanzlei der Akademie erteilte Professor Tiemann die Erlaubnis, Sofies Zeugnisnote aufzubessern. In einem Antwortbrief vom 3. Dezember 1912 teilte der Professor mit, dass er „keine Bedenken ihr Zeugnis in den Leistungen zu verbessern“ habe (4), sodass Sophie ein neues Zeugnis mit den Korrekturen der Noten in den Fächern „Zeichnen nach dem Stillleben“ (von 3 auf 2) und „Zeichnen nach dem Leben“ (von 2 auf 1) ausgestellt wurde.(5) Vermutlich benötigte sie ein nahezu makelloses Zeugnis, um sich an der prädestinierten Bezalel Akademie für Kunst und Design in Jerusalem bewerben zu können, an der sie zwei Jahre lang studierte.
Im März 1914, noch vor Beginn des Ersten Weltkrieges, reiste Sofie nach Jerusalem und war vom 28. März 1914 bis August 1916 als Studentin in Bezalel immatrikuliert. Zur gleichen Zeit studierte dort auch die Künstlerin Had-Gadya (Marousia/Miriam Niessenholtz), welche als erste Frau in Bezalel ihren Studienabschluss absolvierte.(6) Die Betzalel-Akademie wurde 1906 als eine staatliche Kunst- und Designerschule von dem Professor Boris Schatz in Jerusalem eröffnet. Gelehrt wurden sämtliche Kunsthandwerke von Holzschnitzerei, Metallverarbeitung und Teppichherstellung bis zu Bildhauerei sowie Malerei. Bis heute ist Bezalel eine der renommiertesten Kunsthochschulen weltweit.(7)
Während ihrer Zeit in Palästina nahm Sophie den Beinamen Bath-Hillel (= die Tochter von Hillel) an. Die Namensgebung galt als symbolischer Akt. Bath Hillel wurde fortan als Sophies Beiname in offiziellen Dokumenten, bis zur Zeit des Nationalsozialismus, angegeben.
In Bezalel belegte Sofie Kurse zum Malen und Zeichnen, im Handwerk und in der praktischen Arbeit. Aufgrund fehlender Hebräisch-Kenntnisse, so ein Zeugnisvermerk, war es Sophie nicht möglich, alle Studienfächer zu belegen, da einige ausschließlich in hebräischer Sprache unterrichtet wurden. (8) Dennoch beendete Sofie ihr Studium in Bezalel erfolgreich und reiste im Jahr 1916 zurück nach Leipzig.
Kurz bevor der Erste Weltkrieg offiziell als beendet galt, nahm Sofie ihr Studium an der Leipziger Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe erneut auf. Hier war sie vom 14.10.1918 bis 28.02.1919 sowie vom 20.06.1922 bis zum 28.02.1923 als Studentin immatrikuliert.(9) Die Akademie erhob ein für jedes Semester zu entrichtendes Schulgeld.
Sofie stellte im Wintersemester 1922/23 einen Antrag um die Ermäßigung des Schulgeldes auf 5.000 Mark, dem das Sächsische Wirtschaftsministerium Dresden zustimmte: „Das Wirtschaftsministerium genehmigt, dass das Schulgeld für die Besucherin der Akademie Sophie Schneider, Bath-Hillel für das laufende Wintersemester auf 5.000 M. herabgesetzt wird.“ (10)
Dieser Antrag sowie die Zeugnisse, die belegen, dass Sofie bis 1923 an der Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig immatrikuliert war, sind wichtige Dokumente, die Auskunft über Sofies Leben in Leipzig geben. Für die darauffolgenden dreizehn Jahre gibt es bisher keine weiteren Informationen/Quellen.
Am 19.05.1936 schrieb Sofie an die Verwaltung der Kunstakademie und bat erneut um eine Zeugnisausstellung. Die Zeugnisse benötigte sie, nach eigenen Angaben, um in Afrika einreisen zu dürfen.(11) Vermutlich wollte Sofie ihre Schwester Zilla und ihre Nichten, die seit 1936 in Johannesburg lebten, besuchen. Zudem sind in Sofies Pass Reisen nach Chemnitz vermerkt. Ihre Schwester Berta lebte mit ihrem Ehemann, einem christlichen Zahnarzt, in Chemnitz. Auch Sofis Schwester Louisa lebte mit ihrem Ehemann Mendel Muschinsky in Chemnitz.
Während ihrer Zeit in Leipzig lebte Sofie zunächst in der elterlichen Wohnung in der Lessingstraße 1. Seit dem 3. Juli 1937 ist als Wohnadresse die Eisenbahnstraße 37 in ihrem Pass angegeben. (12) In einer Einwohnermeldekartei wurde Sofie beruflich als „Malerin“ und „Hilfsarbeiterin“ registriert, allerdings lassen sich aus dem bisher recherchierten Quellenmaterial keine weiteren Informationen über die Bestreitung ihres Lebensunterhalts entnehmen.(13)
Die jüdische Bevölkerung wurde seit 1933 von den Nationalsozialisten diskriminiert, ausgegrenzt und enteignet. Seit der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde die endgültige Vernichtung der Existenzgrundlage von Jüd:innen beschleunigt. Mit der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12. November 1938 wurde eine massenhafte Zwangsenteignung legalisiert.(14) Seit April 1939 wurde ein Gesetz zur Aufhebung des Mietschutzes für Jüdinnen und Juden erlassen, was zahlreiche Wohnungskündigungen zur Folge hatte. Die Nazis errichteten sogenannte „Judenhäuser“, welche die jüdischen Familien beziehen mussten. Eines dieser „Judenhäuser“ war in der Humboldtstraße 4 – nach 1939 war auch Sophie gezwungen dort zu leben. Die Enteignungs- und Verdrängungsmaßnahmen wurden von den Nationalsozialisten damit begründet, einer vermeintliche „Ghettoisierung“ entgegenzuwirken und die jüdische Bevölkerung zur Abwanderung aus Deutschland zu bewegen.(15)
Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland sowie die jüdischen Gemeinden und Organisationen bemühten sich Ausreisewillige zu unterstützen. Der Hilfsverein der deutschen Juden unterhielt von 1936 bis 1939 eine Beratungsstelle in Leipzig.(16)
Auch Sophie war um die Ausreise bemüht, was ein Fragebogen der Reichsvertretung der Juden in Deutschland aus dem Jahr 1940, belegt. Von Mai bis Juni 1940 Jahr mussten (vermutlich) alle noch in Deutschland lebenden Jüd:innen ihre Bemühungen hinsichtlich der Emigration bei der Abteilung Wanderung detailliert darstellen.(17)
Aus Sophies Fragebogen wird ersichtlich, dass sie sich bereits um eine Emigration in die USA sowie nach Norwegen bemüht hatte. (18) Zu dieser Zeit lebte ihr Vater Hillel bereits in Norwegen. Er konnte am 22. März 1939 zu seiner Tochter Yda und seinem Schwager Jacob Fried nach Oslo emigrieren. Eine Auswanderung war mit hohen finanziellen Kosten, die eigens aufgebracht werden mussten, verbunden, was aufgrund der umfassenden Enteignungsmaßnahmen für die meisten Jüd:innen eine unüberwindbare Herausforderung darstellte. Sophie versuchte durch den Verkauf ihrer Kunstwerke an ihre Schwester Zilla und deren Tochter Yiska, die zu dieser Zeit bereits in Südafrika lebten, finanzielle Mittel aufzutreiben.
Aus noch unbekannten Gründen konnte Sofie nicht emigrieren. Sie wurde am 19. Januar 1942 in Leipzig inhaftiert und in das Ghetto nach Riga/Lettland deportiert. Riga war zu dieser Zeit von Deutschland völkerrechtswidrig besetzt. Sophie traf am 21. Januar 1942 in Riga ein. Nach 1943 gilt sie als verschollen.
Ob Sofie mit ihrer Kunst, zumindest vor 1933, ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte, ist unbekannt. Es existiert eine Vollmacht, in der Hillel Schneider am Tag seiner Emigration nach Oslo verfügt, dass seine Rente fortan monatlich an seine dritte Ehefrau Ida (geb. Hans) und davon jeweils 50 RM an Sofie, zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts, ausgezahlt werden. Einige ihrer Kunstwerke befinden sich heute im Besitz ihrer Verwandten.
Fußnoten